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Ordnung1# zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Kommissionen zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener, für Forschungszwecke und für Rechtsanwaltskanzleien in Bezug auf Sachakten, Verfahrensakten, Registraturakten und vergleichbare Aktenbestände der laufenden Schriftgutverwaltung (OREA)

Vom 26. Mai 2023

ABl. 2023, S. 230

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Präambel

In Anerkennung, dass Kleriker und sonstige Beschäftigte im Dienst der katholischen Kirche in Deutschland in der Vergangenheit Kinder, Jugendliche und schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene sexuell missbraucht haben,
in der Absicht, das Leid der Betroffenen in den Fokus zu stellen, die strukturelle Beteiligung von Betroffenen am Prozess der Aufarbeitung zu sichern und ansprechbar zu sein für die Anliegen Betroffener und ihrer Angehörigen,
ferner in der Absicht, die Umstände von sexuellem Missbrauch in der Vergangenheit und in der Gegenwart in den Blick zu nehmen und die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs insbesondere durch die quantitative Erhebung des sexuellen Missbrauchs, die Untersuchung des administrativen Umgangs mit Tätern und Betroffenen und die Identifikation von Strukturen, die sexuellen Missbrauch zugelassen oder erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben, sowie die qualitative Analyse der spezifischen Bedingungen des Entstehens und des Aufdeckens von Missbrauchsfällen zu ermöglichen,
zu dem Zweck, dem Gebot von Unabhängigkeit und Transparenz der Aufarbeitung Rechnung zu tragen sowie
unter größtmöglicher Wahrung der Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte betroffener Personen
wird die folgende Ordnung erlassen:
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§ 1
Geltungsbereich

Diese Ordnung regelt die Offenlegung von Unterlagen aller kirchlichen Rechtsträger und deren Einrichtungen in der Erzdiözese Freiburg, unabhängig von ihrer Rechtsform, in Form der Übermittlung (Auskunft) und in Form der Bereitstellung (Einsicht) gegenüber unabhängigen Aufarbeitungskommissionen, zu Forschungszwecken sowie gegenüber Rechtsanwaltskanzleien.
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§ 2
Verhältnis zum KDG und zur KAO

Für die Verarbeitung personenbezogener Daten finden das Gesetz über den Kirchlichen Datenschutz (KDG) und die zu seiner Durchführung ergangenen Vorschriften, insbesondere die Durchführungsverordnung zum Gesetz über den Kirchlichen Datenschutz (KDG-DVO) sowie die Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche (Kirchliche Archivordnung – KAO) in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung, soweit sich aus dieser Ordnung nichts Abweichendes ergibt. Die Vorschrift des § 2 Absatz 2 KDG bleibt unberührt.
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§ 3
Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Ordnung bezeichnet der Ausdruck
  1. „Aufarbeitung“ die Erfassung von Tatsachen, Ursachen und Folgen von sexuellem Missbrauch an Kindern, Jugendlichen und schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen in der katholischen Kirche zu dem Zweck, eine quantitative Erhebung des sexuellen Missbrauchs vorzunehmen, den administrativen Umgang mit Tätern und Betroffenen zu untersuchen und die Identifikation von Strukturen, die sexuellen Missbrauch zugelassen oder erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben, sowie die qualitative Analyse der spezifischen Bedingungen des Entstehens und des Aufdeckens von Missbrauchsfällen zu ermöglichen; dies kann auch anhand von Einzelfällen erfolgen;
  2. „Unterlagen“ die in Sachakten, Verfahrensakten, Registraturakten und vergleichbaren Aktenbeständen vorliegenden Aufzeichnungen jeglicher Art unabhängig von ihrer Speicherungsform sowie alle Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für Erhaltung, Verständnis und Nutzung dieser Informationen notwendig sind;
  3. „Unabhängige Aufarbeitungskommission“ die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs auf der Ebene der Erzdiözese Freiburg, die aufgrund der vom Erzbischof für die Erzdiözese Freiburg verbindlich erklärten „Gemeinsamen Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland“ zwischen dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und der Deutschen Bischofskonferenz errichtet worden ist; neben der Gemeinsamen Erklärung selbst enthält die Geschäftsordnung nähere Regelungen zu Aufgaben und Kompetenzen der Aufarbeitungskommission;
  4. „Forschung“ die auf der Basis wissenschaftlicher Standards erfolgende, sexuellen Missbrauch an Kindern, Jugendlichen und schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen in der katholischen Kirche betreffende unabhängige systematische Suche nach neuen Erkenntnissen durch Mitarbeitende an Hochschulen und anderen wissenschaftlich arbeitenden Einrichtungen einschließlich der Dokumentation und Veröffentlichung der Untersuchung;
  5. „Rechtsanwaltskanzleien“ die Büroräume und das Unternehmen oder den Betrieb eines Rechtsanwalts oder mehrerer Rechtsanwälte unabhängig von ihrer Rechtsform, die im Rahmen eines Auftrags tätig werden im Zusammenhang mit der Untersuchung sexuellen Missbrauchs an Kindern, Jugendlichen und schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen in der katholischen Kirche;
  6. „Auskunft“ die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Offenlegung in Form der Übermittlung;
  7. „Einsicht“ die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Offenlegung in Form der Bereitstellung;
  8. „betroffene Person“ diejenige Person im Sinne des § 4 Nr. 1 KDG, deren personenbezogene Daten offengelegt oder in sonstiger Weise verarbeitet werden.
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§ 4
Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung bei der Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber der Unabhängigen Aufarbeitungskommission

( 1 ) Die Offenlegung personenbezogener Daten durch Auskunft oder Einsicht in Unterlagen gegenüber der Unabhängigen Aufarbeitungskommission ohne Einwilligung der betroffenen Personen ist zulässig, soweit
  1. dies für die Durchführung der Aufarbeitung erforderlich ist,
  2. eine Nutzung anonymisierter Daten zu diesem Zweck nicht möglich oder die
    Anonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist und
  3. das kirchliche Interesse an der Aufarbeitung das schutzwürdige Interesse der betroffenen Personen erheblich überwiegt.
( 2 ) Die Offenlegung nach Absatz 1 erfolgt durch Erteilung von Auskünften, wenn hierdurch der Zweck der Aufarbeitung erreicht werden kann und die Erteilung keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Andernfalls kann bis zu vier Mitgliedern der Unabhängigen Aufarbeitungskommission, die aufgrund ihrer Qualifikation aus der Aufarbeitungskommission selbst heraus zu bestimmen sind, ein Einsichtsrecht je Vorgang gewährt werden. Die Auskünfte werden durch eine vom Erzbischof beauftragte Person erteilt, die auf das Datengeheimnis nach § 5 KDG verpflichtet ist. Sie beziehen sich ausschließlich auf solche Inhalte, die eine quantitative Erhebung des sexuellen Missbrauchs, die Untersuchung des administrativen Umgangs mit Tätern und Betroffenen und die Identifikation von Strukturen, die sexuellen Missbrauch zugelassen oder erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben, sowie die qualitative Analyse der spezifischen Bedingungen des Entstehens und Aufdeckens von Missbrauchsfällen ermöglichen; dies erfolgt auch anhand von Einzelfällen.
( 3 ) Personenbezogene Daten werden nur an solche Personen übermittelt, die auf das Datengeheimnis nach § 5 KDG verpflichtet worden sind.
( 4 ) Personenbezogene Daten dürfen nur für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch verwendet werden, die vom Auftrag der Unabhängigen Aufarbeitungskommission erfasst ist. Eine weitergehende Verwendung ist nicht zulässig.
( 5 ) Die nach Absatz 2 durch die Unabhängige Aufarbeitungskommission erhobenen personenbezogenen Daten sind gegen unbefugte Kenntnisnahme durch Dritte zu schützen. Die personenbezogenen Daten sind, sobald der Zweck, zu welchem sie erhoben wurden, es erlaubt, vor Offenlegung gegenüber Dritten zu anonymisieren. Solange dies noch nicht möglich ist, sind die Merkmale gesondert aufzubewahren, mit denen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Sie dürfen mit Einzelangaben nur zusammengeführt werden, soweit die Zwecke der Aufarbeitung dies erfordern. Sie sind spätestens zwei Jahre nach Erstellung des Abschlussberichts zu vernichten oder an die Erzdiözese zurückzugeben.
( 6 ) Sind personenbezogene Daten nach den Absätzen 1 bis 3 offengelegt worden, darf die Unabhängige Aufarbeitungskommission diese nur veröffentlichen, wenn dies für die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs unerlässlich ist und nur soweit Personen der Zeitgeschichte betroffen sind.
( 7 ) Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse der Unabhängigen Aufarbeitungskommission sind die Persönlichkeitsrechte jedweder genannten Person zu wahren.
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§ 5
Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung bei der Offenlegung von personenbezogenen Daten zu Forschungszwecken

( 1 ) Die Offenlegung personenbezogener Daten durch Auskunft oder Einsicht in Unterlagen ohne Einwilligung der betroffenen Personen gegenüber Hochschulen und anderen Einrichtungen, die wissenschaftliche Forschung betreiben, ist zulässig, soweit
  1. dies für die Durchführung bestimmter wissenschaftlicher Forschungsarbeiten zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch erforderlich ist,
  2. eine Nutzung anonymisierter Daten zu diesem Zweck nicht möglich oder die Anonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist,
  3. das kirchliche Interesse an der Forschungsarbeit das schutzwürdige Interesse der betroffenen Personen erheblich überwiegt und
  4. der Diözesanbischof oder die von ihm bestimmte verantwortliche Person die Einwilligung hierzu erteilt hat.
Einer Einwilligung nach Ziffer 4 bedarf es nicht, wenn die Offenlegung von personenbezogenen Daten im Auftrag der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Rahmen des in § 3 lit. a) genannten Zwecks erfolgt.
( 2 ) Die Offenlegung nach Absatz 1 erfolgt durch Erteilung von Auskünften, wenn hierdurch der Zweck der Aufarbeitung erreicht werden kann und die Erteilung keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Andernfalls kann ein Einsichtsrecht gewährt werden. Die Auskünfte werden durch eine vom Diözesanbischof beauftragte Person erteilt, die auf das Datengeheimnis nach § 5 KDG verpflichtet ist. Sie beziehen sich ausschließlich auf solche Inhalte, die eine quantitative Erhebung des sexuellen Missbrauchs, die Untersuchung des administrativen Umgangs mit Tätern und Betroffenen und die Identifikation von Strukturen, die sexuellen Missbrauch zugelassen oder erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben, sowie die qualitative Analyse der spezifischen Bedingungen des Entstehens und Aufdeckens von Missbrauchsfällen ermöglichen; dies erfolgt auch anhand von Einzelfällen.
( 3 ) Personenbezogene Daten werden nur an solche Personen übermittelt, die auf das Datengeheimnis nach § 5 KDG verpflichtet worden sind.
( 4 ) Personenbezogene Daten dürfen nur für die Forschungsarbeit verwendet werden, für die sie übermittelt worden sind. Die Verwendung für andere Forschungsarbeiten oder die Offenlegung gegenüber Dritten richtet sich nach den Absätzen 1 bis 3 und ist nur mit Einwilligung des Erzbischofs zulässig. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
( 5 ) Die nach Absatz 2 zu Forschungszwecken erhobenen personenbezogenen Daten sind gegen unbefugte Kenntnisnahme durch Dritte zu schützen. Die wissenschaftliche Forschung betreibende Stelle hat dafür zu sorgen, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten räumlich und organisatorisch getrennt von der Erfüllung solcher Verwaltungsaufgaben oder Geschäftszwecke erfolgt, für die diese Daten gleichfalls von Bedeutung sein können.
( 6 ) Sobald der Forschungszweck es erlaubt, sind die personenbezogenen Daten vor Offenlegung gegenüber Dritten zu anonymisieren. Solange dies noch nicht möglich ist, sind die Merkmale gesondert aufzubewahren, mit denen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Sie dürfen mit Einzelangaben nur zusammengeführt werden, soweit der Forschungszweck dies erfordert. Sie sind spätestens zwei Jahre nach Erfüllung des Forschungszwecks zu vernichten oder an die Erzdiözese zurückzugeben.
( 7 ) Sind personenbezogene Daten nach den Absätzen 1 bis 3 offengelegt worden, dürfen diese nur veröffentlicht werden, wenn dies für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Personen der Zeitgeschichte unerlässlich ist.
( 8 ) Bei der Veröffentlichung des Forschungsergebnisses sind die Persönlichkeitsrechte jedweder genannten Person zu wahren.
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§ 6
Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung bei der Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber Rechtsanwaltskanzleien

( 1 ) Die Offenlegung personenbezogener Daten durch Auskunft oder Einsicht in Unterlagen ohne Einwilligung der betroffenen Personen gegenüber Rechtsanwaltskanzleien ist zulässig, soweit
  1. dies für die Durchführung der Aufarbeitung oder zur Rechtsberatung der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch erforderlich ist,
  2. eine Nutzung anonymisierter Daten zu diesem Zweck nicht möglich oder die Anonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist,
  3. das kirchliche Interesse an der Aufarbeitung und rechtlichen Bewertung des Sachverhalts das schutz-würdige Interesse der betroffenen Personen erheblich überwiegt und
  4. der Diözesanbischof oder die von ihm bestimmte verantwortliche Person die Einwilligung hierzu erteilt hat.
Einer Einwilligung nach Ziffer 4 bedarf es nicht, wenn die Offenlegung von personenbezogenen Daten im Auftrag der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Rahmen des in § 3 lit. a) genannten Zwecks erfolgt.
( 2 ) Die Offenlegung nach Absatz 1 erfolgt durch Erteilung von Auskünften, wenn hierdurch der Zweck der Aufarbeitung erreicht werden oder die gewünschte Rechtsberatung im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch erfolgen kann und die Erteilung keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Andernfalls kann ein Einsichtsrecht gewährt werden.
( 3 ) Die personenbezogenen Daten dürfen ausschließlich zur Bearbeitung des erteilten Auftrags verwendet werden und sind auf Verlangen des Auftraggebers zu löschen.
( 4 ) Die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei ist vertraglich zu besonderer Vertraulichkeit zu verpflichten.
( 5 ) Die personenbezogenen Daten sind gegen unbefugte Kenntnisnahme durch Dritte zu schützen.
( 6 ) Sobald der Zweck es erlaubt, sind die personenbezogenen Daten vor Offenlegung gegenüber Dritten zu anonymisieren. Solange dies noch nicht möglich ist, sind die Merkmale gesondert aufzubewahren, mit denen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Sie dürfen mit Einzelangaben nur zusammengeführt werden, soweit die Zwecke der Aufarbeitung dies erfordern. Sie sind spätestens zwei Jahre nach Erstellung des Abschlussberichts zu vernichten oder an die Erzdiözese zurückzugeben.
( 7 ) Sind personenbezogene Daten nach den Absätzen 1 bis 2 offengelegt worden, dürfen diese nur veröffentlicht werden, wenn dies für die Darstellung von Untersuchungsergebnissen über Personen der Zeitgeschichte unerlässlich ist.
( 8 ) Bei der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse sind die Persönlichkeitsrechte jedweder genannten Person zu wahren.
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§ 7
Inkrafttreten, Geltungsdauer, Überprüfung

( 1 ) Diese Ordnung tritt zum 1. Juni 2023 in Kraft.
( 2 ) Sie soll spätestens nach Ablauf des neunten Jahres ihrer Geltung einer Überprüfung unterzogen werden.
( 3 ) Sie gilt für einen Zeitraum von zunächst 10 Jahren und kann um weitere fünf Jahre verlängert werden.

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1 ↑ Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt adäquate andere Formen gleichberechtigt ein.